Relativitätstheorie relativ anschaulich

Simulation der relativistischen Radfahrt

Zur Simulation der relativistischen Radfahrt wird zunächst die komplette Umgebung aus der Sicht eines ruhenden Beobachters dargestellt. Dieser befindet sich an derselben Position wie der virtuelle Radfahrer. Dazu wird eine sogenannte Cubemap erzeugt: sechs Bilder auf den Seiten eines Würfels, die den Blick in die sechs Raumrichtungen wiedergeben. In einem zweiten Schritt wird daraus das Bild berechnet, das der bewegte Radfahrer sieht. Für jeden darzustellenden Bildpunkt wird die zugehörige Richtung vom Bezugssystem des Radfahrers in das Bezugssystem des gedachten ruhenden Beobachters umgerechnet. Dies geschieht mit der Formel für relativistische Aberration. Anschließend wird aus der Cubemap die Farbe für den Bildpunkt bestimmt.

Die relativistische Fahrradfahrt gibt es auch in interaktiver Form. Gefahren wird auf einem Trimmrad, mit dem man lenken, beschleunigen und bremsen kann. Vor dem Trimmrad steht eine Leinwand, auf die in Echtzeit der Anblick der Straße projiziert wird. Bei der Echtzeitsimulation muss die Cubemap jeweils für die momentane Position des Radfahrers neu erzeugt werden. Für jedes Bild wird die Umgebung mit etwa 20000 Polygonen und 200 Megabyte Daten für die sogenannte Bildtextur sechsmal gezeichnet. Ein einzelner High-End Rechner schafft dies in weniger als 10 ms und erzeugt dabei eine Cubemap mit 6 Millionen Bildpunkten. Die relativistische Umrechnung benötigt weniger als 2 ms, so dass Bildraten von über 60 Bildern pro Sekunde möglich sind.

Relativistisches Radeln für Alle

Eine relativistische Fahrradfahrt ist natürlich dann am schönsten, wenn man selber fährt. Interaktiv durch Tübingen radeln kann man vom 7.5. bis zum 31.12.2005 im Deutschen Museum in München in der „Sonderausstellung Albert Einstein“. Im Historischen Museum Bern haben Besucher die Möglichkeit, in der „Sonderausstellung Albert Einstein“ vom 16.6.2005 bis zum 17.4.2006 interaktiv und fast lichtschnell Einsteins Weg von seiner Wohnung bis zu seiner Arbeitsstelle im Berner Patentamt zu folgen.

Die relativistische Fahrradfahrt illustriert, wie man seine Umgebung sieht, wenn man sich annähernd lichtschnell bewegt. Wie verhält es sich nun umgekehrt, wenn die Kamera ruht und ein Objekt fast lichtschnell vorbeifliegt? Aufgrund des Relativitätsprinzips ist klar: Ob wir das Objekt oder die Kamera als bewegt betrachten, ist egal; in beiden Fällen entsteht derselbe Film. Die Erklärung ist aber je nach Standpunkt verschieden. Für den Fall des bewegten Objekts beschreibt [10], wie Lichtlaufzeiteffekte bewirken, dass ein fast lichtschnell bewegtes Objekt verzerrt und gedreht wahrgenommen wird. Dazu gibt es auch Filmsequenzen im Internet ([8]).

Danksagung

Wir danken Prof. H. Bülthoff für die freundliche Erlaubnis, das am MPI für biologische Kybernetik Tübingen erstellte dreidimensionale Modell der Tübinger Altstadt für diese Simulationen zu nutzen. Weitere Informationen über das Tübingen-Modell unter Virtual Tübingenexterner Link (archive.org).

Diese Arbeiten wurden von der DFG gefördert (SFB 382, SFB TR7).

Zusammenfassung

Eine Computersimulation ermöglicht es uns, mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch die Tübinger Fußgängerzone zu fahren. Was wir dabei sehen, ist verblüffend: Die Häuser vor uns rücken um so weiter in die Ferne, je mehr wir beschleunigen; gleichzeitig erscheinen die Hauskanten in unserer Nähe immer stärker gekrümmt.

Der Grund für diese merkwürdigen Bilder ist die sogenannte Aberration: Ein und derselbe Lichtstrahl hat für den fahrenden Beobachter eine andere Richtung als für denjenigen, der am Straßenrand steht. Dieser Effekt ist im Alltag klein; wenn wir aber in der Simulation fast lichtschnell durch die Tübinger Altstadt rasen, ist er dramatisch groß.

Literatur

[1] A. Einstein, Annalen der Physik 1905, 17, 891
[2] G. Gamov, Mr. Tompkins' seltsame Reisen durch Kosmos und Mikrokosmos, Vieweg Verlag, Wiesbaden 1984
[3] G. Gamow, Mr. Tompkins in Paperback, Cambridge University Press, Cambridge 1967
[4] A. Lampa, Z. Physik 1924, 72, 138
[5] R. Penrose, Proc. Cambr. Phil. Soc. 1959, 55, 137
[6] J. Terrell, Phys. Rev. 1959, 116, 1041
[7] U. Kraus, Am. J. Phys. 2000, 68, 56, Online-Version: https://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/ , Abschnitt Brightness and color of rapidly moving objects
[8] C. Zahn, U. Kraus, https://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/, schnellbewegte Objekte: z. B. Abschnitte Bewegung am kosmischen Tempolimit, Rollende Räder
[9] M. L. Boas, Am. J. Phys. 1961, 29, 283
[10] U. Kraus et al., Physik Journal 1 (2002) Nr. 7/8, 77, Online-Version: https://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/ , Abschnitt Fast lichtschnell durch die Stadt

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AutorInnen: Ute Kraus, Marc Borchers, Datum: 26.01.2005
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