Relativitätstheorie relativ anschaulich

Flächenland

Im italienischen Restaurant erzählt Frau Panchakshari:

„Was ein gekrümmter Raum sein soll, kann man sich schlecht anschaulich vorstellen, meistens hört man in etwa folgende Erklärung:“

„Eine eindimensionale Linie kann gerade gerade Linie sein oder krumm krumme Linie wie diese Spaghetti dort, eine zweidimensionale Fläche eben ebene Fläche wie diese Serviette oder gekrümmt gekrümmte Fläche wie dieses Salatblatt, beim dreidimensionalen Raum ist es genauso, nur noch eine Dimension höher.“

„Können Sie sich das vorstellen? Genauso wie eine gekrümmte Fläche, nur eine Dimension höher? – Ich nicht, ehrlich gesagt. Manchmal hilft aber ein Wechsel des Standpunkts: Wir leben in einem dreidimensionalen Raum, sind also sozusagen ‚Raumwesen‘. Genauso könnte man sich eine Welt vorstellen, die nur zwei Dimensionen hat, also eine Fläche. Ein Wesen, das in so einer Fläche lebt, müsste mit der Vorstellung einer gekrümmten Fläche die gleichen Schwierigkeiten haben, wie wir als Raumwesen mit einem gekrümmten Raum.“

„Vielleicht kennen Sie den Roman ‚Flächenland‘ von Edwin Abbott aus dem vorletzten Jahrhundert. Nicht? Warten Sie, ich habe das Buch dabei. Der Roman spielt in genau so einer Flächenwelt. Abbott beschreibt die Weltsicht eines Flächenwesens so:“

‚Ich nenne unsere Welt Flächenland (...). Stellt euch ein weitausgedehntes Blatt Papier vor, auf dem sich (...) Figuren (...) frei hin- und herbewegen, jedoch ohne das Vermögen, sich darüber hinaus zu erheben oder darunter zu sinken, etwa wie Schatten (...).

Lege, Leser, eine Münze mitten auf einen eurer Tische im Raum, beuge dich darüber und sieh hinab: sie wird als Kreis erscheinen.

Nun aber zieh dich zum Rand des Tisches zurück und gehen mit deinem Gesicht immer tiefer (womit du dich mehr und mehr den Erkenntnisumständen von Flächenland näherst), und du wirst sehen, daß die Münze mehr und mehr oval erscheint. Und schließlich, wenn du dein Auge genau auf die Höhe der Tischkante gebracht hast (so daß du sozusagen zum Flächenländer geworden bist), wird die Münze nicht mehr oval erscheinen, und, soweit du es erkennen kannst, eine Gerade geworden sein.‘

(E. Abbott: Flächenland, Klett 1982 [Übersetzung von: Flatland, 1884])

„Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden in so einer Fläche leben, könnten sich wie ein Schatten nur in dieser Fläche bewegen. Sie könnten sich vor und zurück, nach links und nach rechts bewegen, aber nicht nach oben oder unten. Sie könnten auch nicht nach oben oder unten schauen, nicht einmal daran denken. Die Begriffe ‚oben‘ und ‚unten‘ hätten für Sie überhaupt keine Bedeutung. Mit einer ‚dritten Dimension‘ könnten Sie dann nichts anfangen. Auch wenn sich die Flächenwelt, in der Sie leben, irgendwie in eine dritte Dimension krümmt, gibt es für Sie in der Fläche nur vor, zurück, rechts und links.“

„Da, nehmen Sie mal diese kleine Raupe auf Ihrem Salatblatt. Sie kann auf der Oberfläche herumkrabbeln, sieht wahrscheinlich schlecht und interessiert sich wohl nur für ihre nächste Umgebung. Wie Abbotts Flächenwesen ist sie auf die zwei Dimensionen der Blattoberfläche beschränkt. Dass das Blatt gekrümmt ist, betrifft sie nicht. Warten Sie, ich zeigs Ihnen genauer.“

„Kellner! Haben Sie zufällig eine Schere und noch ein paar Servietten da?“

Ein etwas konsterniert blickender, aber in einer Universitätsstadt einiges gewöhnter Kellner bringt das Gewünschte und Frau Panchakshari beginnt auf einer Serviette herumzukritzeln.

„Schauen Sie, eine sehr systematische Raupe könnte auf die Idee kommen, ihr Salatblatt in lauter Sektoren zu zernagen. Ich zeichne hier mal ein Blatt.“

Sie zeichnet einen Kreis und teilt ihn in Sektoren auf.

„Genauso kann man ein gekrümmtes Blatt basteln und es in Sektoren einteilen, so...“

Mit Ihrer Kamera machen Sie ein paar Aufnahmen, die Ihr Assistent am nächsten Tag in schön gedruckte Bastelbögen umsetzt.

Puzzle 3: Salatblätter
Bastelbögen Salatblatt

Bauanleitung:

  1. Mit diesen Bastelbögen können Sie ein flaches (hellgrünes) und ein gekrümmtes (dunkelgrünes) Salatblatt basteln. Die Sektoren des gekrümmten Salatblattes gibt es zusätzlich noch einzeln zum Puzzeln.
  2. Das flache Blatt (hellgrün) ausschneiden. Das gewölbte Blatt (dunkelgrün) ausschneiden, an den schwarzen Strichen falzen und mit Hilfe der weißen Klebelaschen zusammenkleben.
  3. Die Sektoren des gewölbten Blattes (dunkelgrün) einzeln ausschneiden. Versuchen Sie, sie zu einem zusammenhängenden Blatt zu kombinieren!
 
gekrümmte Flächen in der Pizzeria

„Das erste Blatt hier ist flach. Sie sehen, wenn Sie die einzelnen Sektoren auseinanderschneiden und wieder zusammenlegen, dass es genau aufgeht.

Das zweite Blatt ist gekrümmt. Hier habe ich ein gekrümmtes Blatt in Sektoren zerschnitten. Versuchen Sie einmal, die Sektoren auf dem flachen Tisch zusammenzusetzen!“

Sie puzzeln ein wenig mit den Sektoren des gekrümmten Blattes herum und stellen fest, dass sie nicht zusammenpassen.

„Eine intelligente Ingenieursraupe wäre wohl ziemlich verzweifelt, wenn ihr sorgfältig in einzelne Stücke zernagtes Blatt auf dem Tisch nicht mehr zusammenpasst.

Wenn Sie den Standpunkt eines Flächenwesens einnehmen, dann ist das ja auch wirklich unvorstellbar. Für uns Raumwesen ist das Ganze natürlich ziemlich klar, man kann eine gekrümmte Fläche nicht in der Ebene ausbreiten, ohne sie zu zerreißen.

Dass wir das einsehen, liegt nicht daran, dass wir geringfügig intelligenter sind als die Raupe, sondern dass wir das Blatt von außen, von einer ‚höheren Dimension‘ aus anschauen können.

Sie haben sicher Ihre Pappmodelle dabei?“

 
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AutorInnen: Ute Kraus, Corvin Zahn, Datum: 29.03.2004
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